Versteinerte Lebensgeschichte

10. Okt 2021 17:00 – 18:30
  • Kulturveranstaltung
KVHS Ottweiler in Verbindung mit der Stadt Ottweiler und dem Stadtgeschichtlichen Museum Ottweiler
Maria-Juchacz-Ring
Ottweiler 66564

Führung über den jüdischen Friedhof Ottweiler

Die versteinerte Lebensgeschichte der jüdischen Gemeinde Ottweiler

Die KVHS lädt in Absprache mit der Stadt Ottweiler und dem Ottweiler Stadtmuseum zur letzten Führung über den jüdischen Friedhof im Jahr 2021 ein. Auf die Frage, was sie dazu bewege, kann sie auf Ausführungen des Kenners jüdischer Friedhöfe in Deutschland, ja Europas: Prof. Dr. Michael Brocke, den Leiter des Steinheim-Instituts Duisburg bis Juni 2021, verweisen. Er betont, dass Friedhöfe kleiner jüdischer Gemeinden oft letztes erhaltenes Zeugnis ausgelöschten jüdischen Lebens darstellen. So vermittelt der Ottweiler jüdische Friedhof uns heute nicht nur Namen der Menschen, die die jüdische Gemeinde Ottweilers mit Leben erfüllten, sondern auch Wertvorstellungen der gewaltsam vernichteten Kultur. Diese spiegeln sich - so Prof. Brocke - in Grabinschriften:

„Ihre Inschriften sind es, [...], die die Menschen in Namen und Nachruf auseinanderhalten, [...]. Der Friedhof zeigt in seinen Segenswünschen und in seinen durchweg lobenden Feststellungen, [...], dass das gute Leben zu verwirklichen ist und weist den Lesenden auf, wie dies möglich war und bleibt. Ein Ort der verwirklichten Beispiele, der nachzuahmenden Vorbilder. Ein Ort der gemeinsamen Wünsche, [...] Wir sehen, dass die Inschriften und ihre Aussichten den Friedhof als einen lebenssatten und zum Leben anspornenden Ort verwirklichen. [...]. Die von den Frauen wie den Männern gelebten und jeweils unterschiedlichen ‚Ideale‘ des Guten Lebens erzeugen die geglückte Vergangenheit einer ‚corporate identity‘. Damit ist der jüdische Friedhof auch textlich eine Stätte quantitativer, wenn nicht qualitativer Ebenbürtigkeit von Frauen und Männern, [...].“

Die Auseinandersetzung mit der jüdischen Sepulkralkultur öffnet den Blick des Betrachters für Besonderheiten einer uns heute fremd gewordenen Kultur:

„So vermögen die ‚Guten Orte‘ dem, der sie aufsucht, nicht nur unterschiedliche Ausschnitte der religiösen und kulturellen Geschichte des deutschen Judentums als solche näher zu bringen, sondern darin auch die Bindungen, die Nähe wie die Distanz der stets neu aufnehmenden und neues stets kreativ mit dem Eigenen und Hergebrachten verarbeitenden Minderheit sichtbar werden zu lassen – nicht nur in Form und Gestaltung, Symbol oder Ornament, sondern auch in den Inhalten und der Art und Weise, wie sie zur Sprache gebracht werden.“

Die Führung bemüht sich daher darum, „der versteinerten Lebensgeschichte“ des Ottweiler Judentums mit ihren Veränderungen gerecht zu werden, aber auch anzuregen, sich mit der immer stärker auftretenden anonymen Bestattung auseinanderzusetzen und sich die Frage zu stellen, welcher Bedeutungsverlust – religiös und kulturell – damit verbunden sein wird: „Die zeitgenössische Gesellschaft hat wenig Interesse an Grabinschriften, die über Namen und Daten hinausgehende Aussagen machen – ihre Friedhöfe sind verstummte und verstummende Orte.“

Auf die Frage, warum jüdische Friedhöfe zu erhalten seien, führt Prof. Brocke aus:

„Die jüdischen Friedhöfe sind an vielen Orten in Deutschland die einzig überlebenden Zeugen und Zeugnisse der jüdischen und der deutsch-jüdischen Geschichte. Sie verweisen in der Abfolge der Generationen die Kontinuität und die Stabilität jüdischen Lebens und sie zeigen in deren gewaltsamem Abriss in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren die jähe Beendigung, [...]. Geschichte aber kann und darf nicht durch Gewalt beendet werden. Also sei diese Tatsache ein besonderer Grund zur Bewahrung der Begräbnisstätten, welcher insbesondere auch die Nicht-Juden angeht, und das nicht, um Schuld für die Ältesten oder Scham für die Jüngsten erzeugen [...], sondern um ihr Wissen von der Geschichte [...], es nicht allein unter dem Vorzeichen der Schoah zu fördern, wie es immer neu geschieht, gewiss geschehen muss, doch nicht immer in dieser das auch potentielle Interesse vieler lähmenden Ausschließlichkeit geschehen sollte. Hier liegt ein kaum gehobenes, Identität stärkendes Potential.“

Dieses Potential zu heben - dazu möchte die Führung, einen Beitrag leisten.

Zur politischen Entwicklung in Ottweiler von 1918/19–1956 verfasste Hans-Joachim Hoffmann die Dokumentation „Verwirrende Wege“. Darin zeigt er u.a. den Aufstieg des Nationalsozialismus in Ottweiler auf, der zur Auslöschung jüdischen Lebens führte. Das 603 Seiten umfassende Buch kann für € 29.80 erworben werden bei:

Hans-Joachim Hoffmann, Adolf-Kolping-Weg 7, 66564 Ottweiler (06824-7990)

Sparkasse Neunkirchen, Filiale Wilhelm-Heinrich-Straße, 66564 Ottweiler

Presse-Shop Ottweiler, Wilhelm-Heinrich-Straße 13, 66564 Ottweiler.

Henn’sche Buchhandlung Köhler, Enggass, 66564 Ottweiler

Um die Führung durchführen zu können, müssen die gesetzlichen Beschränkungen infolge der Corona-Pandemie beachtet werden. Deshalb ist eine Anmeldung bei der KVHS notwendig (erwünscht bis Mittwoch, 6.10.2021, 12.00 Uhr).

s.falkenrich@landkreis-neunkirchen.de - 06824 906 4121

s.detemple@landkreis-neunkirchen.de - 06824 906 41 70

Die Teilnahme erfolgt auf eigenes Risiko. Die TeilnehmerInnen akzeptieren mit ihrer Teilnahme jeden Haftungsausschluss der Synagogengemeinde Saar, der Stadt Ottweiler/des Stadtmuseums Ottweiler, der KVHS und des Referenten.

Termin: Sonntag, 10.10.2021

Uhrzeit: 17.00 Uhr

Treffpunkt: Aufgang zum Friedhof in der Straße Maria-Juchacz-Ring (aus Richtung Schwimmbad kommend: Kreuzung Karl-Marx-Straße/Maria-Juchacz-Ring: rechts abbiegen - nach ca. 80 m linker Hand Aufgang zum Friedhof) Dauer: ca. 1 ½ Stunde

 

Hoffmann