Widerstand in Saarbrücken

Es gibt keine Orte im heutigen Saarland, genauer der Stadt Saarbrücken, an denen sich das Thema Widerstand gegen den Nationalsozialismus bzw. Engagement für den „Status quo“ des Saargebietes bei der Abstimmung vom 13. Januar 1935 direkt ablesen lässt. Es lässt sich jedoch eine Infrastruktur erkennen, die darüber informiert, wie der Widerstand organisiert war. Die Darstellung dieser Infrastruktur zeigt, in welchem Verhältnis die Wohn- und Arbeitsorte, die Treffpunkte (Cafés, Hotels) und Ämter zueinander stehen, und welche Strategien der Kommunikation unter den Geflüchteten bzw. Widerständigen unter den Vorzeichen der Verfolgung und Beobachtung durch das NS-Regime entwickelt wurden.

Foto: Landesarchiv Saarbrücken, LA SB_167_003

Foto: Landesarchiv Saarbrücken, Bestand B_HV_868_3

Foto: Landesarchiv Saarbrücken, LASB_333

Foto: Landesarchiv SB LASB_135

Foto: Landesarchiv Saarbrücken LA SB_144

Kontext

Frankreich teilte 1919 vom ehemaligen deutschen Kaiserreich die Saargruben, Hüttenwerke und Arbeitersiedlungen ab und nannte so entstandene Territorium „Saargebiet“ und stellte es unter die Verwaltung des Völkerbundes. Eine international besetzte Kommission übernahm die Regierungsgeschäfte. Damit verbunden war, dass nach 15 Jahren die Einwohnerinnen und Einwohner des Saargebietes darüber abstimmen sollten, ob wie zu Frankreich oder zu Deutschland gehören wollten, oder ob der bisherige Zustand unter der Verwaltung der Völkerbundes bzw. der Status quo erhalten bleiben sollte.

Als am 30. Januar 1933 den Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übergeben worden war, gehörte das Saargebiet nicht zu Deutschland. Daher wurde es zu Zuflucht für vom NS ausgemachte politische Gegner. Dazu zählten Funktionäre der sozialdemokratischen, liberalen, christlichen und kommunistischen Parteien. Darunter waren auch vormalige Minister, Landräte, Stadtverordnete, die in den Verwaltungen von Land, Kreis und Stadt gearbeitet hatten. In das Saargebiet, vor allen in den Bereich zwischen Neunkirchen, Saarbrücken und Völklingen flüchteten auch Gewerkschafter, Journalisten, Schriftsteller, die sich zuvor gegen die Nationalsozialisten engagiert hatten und nun von ihnen bedroht und verfolgt wurden.

Da sich viele Geflüchtete sich nicht bei den Behörden vor Ort offiziell anmeldeten und im Saargebiet, so vermehrt die verfolgten Kommunisten privat bei ihren Parteigenossen untertauchten, gibt es keine genauen Zahlen, sondern lediglich Schätzungen.

Die Gestapo vermutete, dass zwischen 5.000 und 7.000 Menschen an die Saar geflüchtet waren. Die Zahlen, die von der Saarländischen Friedengesellschaft, der Liga für Menschenrechte und der von der Kommunistischen Partei organsierten „Roten Hilfe“ bekannt gemacht wurden, beliefen sich auf 5000 bis 6000 Menschen. Die Geflüchteten machten ein Prozent der Bevölkerung des Saargebiets aus.

Am 4. Juni 1934 legte der Völkerbund den Abstimmungstermin auf den 13. Januar 1935 fest. Daraufhin begann der Abstimmungskampf zwischen den Befürwortern des Anschluss an Deutschland, die sich in der „Deutschen Front“ zusammengeschlossen hatten und den Befürwortern des „Status quo“, welche die „Einheitsfront“ bildeten. Er fand bei Kundgebungen und in Zeitungen sowie Zeitschriften statt, die von den beiden Seiten herausgegeben wurden. Die aus NS-Deutschland Geflüchteten engagierten sich dabei für den „Status quo.“

Bald nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses am 15. Januar 1935 erfolgte die zweite Flucht gemeinsam mit Status-quo-Befürworter:innen und NS-Gegner:innen aus dem Saargebiet nach Frankreich.

Schwerpunkt

Widerstand, Verfolgung, Sondersituation Saargebiet

Praktische Hinweise

Die Orte des Widerstands in Saarbrücken liegen über die Stadteile St. Johann und Altsaarbrücken zerstreut. Es empfiehlt sich der Witterung angepasste Kleidung und festes Schuhwerk.

Dauer

Ein bis drei Stunden

Zielgruppe

Schulklassen ab Klassenstufe 9, Jugend- und Erwachsenengruppen

Kosten

Das Angebot ist bis auf die Führungen im Historischen Museum Saar kostenlos

Öffnungszeiten

Historisches Museum Saar: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr; Mittwoch von 10 bis 20 Uhr.

Landesarchiv Saarbrücken:Öffnungszeiten von Montag bis Freitag von 10 bis 16 Uhr. Mittwoch geschlossen.

Öffnungszeiten Stadtarchiv Saarbrücken: Dienstag von 9 bis 17 Uhr, Donnerstag von 9 bis 18 Uhr, Freitag von 9 bis 13 Uhr.


Kontakt

Stadtarchiv Saarbrücken
Öffnungszeiten: Dienstag von 9 bis 17 Uhr, Donnerstag von 9 bis 18 Uhr, Freitag von 9 bis 13 Uhr Email: stadtarchiv(at)saarbruecken.de
Telefon: 0681-905-1258
Internet: http://www.saarbruecken.de/kultur/stadtarchiv

Landesarchiv (Fotosammlung)
Email: lesesaal(at)landesarchiv.saarland.de
Telefon: 0681-501-1937 (Lesesaal)
Internet: https://www.saarland.de/5559.htm

Historisches Museum Saar
Ulrich Brunner
Telefon: 0681-506-4506
Email: ulrich.brunner(at)hismus.de
Internet: www.hismus.de


Erreichbarkeit

Das Gebiet, in dem die Widerständigen lebten und arbeiteten, befindet sich ausschließlich in der Saarbrücker Innenstadt


Anfahrt

Historisches Museum Saar, Schlossplatz 15, 66119 Saarbrücken ist zu Fuß in 15 Minuten vom Hauptbahnhof Saarbrücken zu erreichen.

Die Stadtteile St. Johann und Altsaarbrücken sind fußläufig zu erreichen. Ebenso das Stadtarchiv Saarbrücken, Deutschherrnstraße 1, 66117 Saarbrücken.

Das Landesarchiv, Dudweilerstraße 1, 66133 Saarbrücken liegt am Bahnhof Scheidt und ist mit den Regionalbahnen 70 und 71 zu erreichen sowie mit der Buslinie 138, Haltestelle „Im Flürchen“.

 


Didaktisches Angebot

Eine besondere Rolle spielte unter den geflüchteten Widerständigen die Kommunikation (Konspiration, Tarnschriften, Treffpunkte) und die Infrastruktur (Fluchthelfer/Schmugglerpfade, Wohn- und Arbeitsorte).

Auch die Frage, wo und wie die Geflüchteten Arbeit fanden, und ob es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gab, ist wichtig. (Berufswechsel bei Politiker:innen, Weiterbeschäftigung von Journalist:innen)

Eine Reihe von Romanen, zum Beispiel der Roman „Im Kreuzfeuer“ von Gustav Regler) oder Autobiographien/Berichte/Tagebücher spiegeln die Zeit von 1933 bis 1935, zum Beispiel „Geheimnis und Gewalt“ von Georg Glaser, „Spartakus“ von Karl Retzlaw, „Ein Leben ist viel zu wenig“ von Lore Wolf oder die Tagebuchaufzeichnungen von Paul Siegmann.

Die Saarbrücker Stadtteile St. Johann und Altsaarbrücken bildeten das Zentrum für die nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 vom einsetzenden Terror gegen politische Gegner in das Saargebiet geflüchtete Politikerinnen und Politiker aus christlichen, liberalen, sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, Gewerkschaftsfunktionäre, Journalisten und Schriftsteller. In beiden Vierteln waren die Wohn- und Arbeitsplätze sowie die Treffpunkte in Pensionen oder Cafés der Geflüchteten. Es bildete sich eine Infrastruktur heraus, die als Topographie des Widerstands lokalisierbar ist. Die räumliche Nähe von Leben und Arbeiten bedingt die Notwendigkeit der Kommunikation unter den Vorzeichen von Verfolgung und Widerständigkeit.

Anhand von Quellen entsteht ein Eindruck vom Leben und Arbeiten zwischen der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 und der Abstimmung über die staatliche Zugehörigkeit des Saargebietes am 13. Januar 1935.

Dazu gehören die diesen Zeitraum erfassenden Lebenserinnerungen, Romane und Berichten von ins Saarland geflüchteten Politiker:innen, Journalist.innen und Schriftsteller:innen bzw. der Blick auf die Biographien dieser Politiker:innen, Gewerkschafter:innen, Journalist:innen, Schriftsteller:innen.

Dazu gehören auch Quellen, wie die Gesetze zum Thema Asyl, die von der, das Saargebiet verwaltenden Kommission des Völkerbundes zum Schutz der Geflüchteten verabschiedet wurden.

Dazu gehört weiterhin die Berichterstattung der Parteipresse im Saargebiet wie auch die der nationalen wie der internationalen Medien.

Widerstand und Verfolgung zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 13. Januar 1935 im damaligen  Saargebiet am Beispiel der Stadt Saarbrücken am Beispiel ausgewählter Biographien, deren Wohn- und Arbeitsorte in Saarbrücken Auskunft geben über die Lebensumstände von Verfolgten bzw. Geflüchteten.

Im Fokus stehen dabei die notwendigen Bedingungen der Kommunikation unter den Geflüchteten sowie der Kommunikation der Widerständigen in ihrem Engagement gegen das NS-Regime im Vorfeld der Saarabstimmung am 13. Januar 1935.

  • Dazu liegen ein Infoheft sowie ein Lernheft zum Widerstand im Saargebiet 1933-1935 vor: Infoheft Widerstand im Saargebiet 1933-1935 vor. 
  • Saarländisches Landesarchiv: Fotosammlung über den Widerstand nach 1933 im Saargebiet und im Vorfeld der Saarabstimmung am 13. Januar 1935.

Aufgaben und Fragen:

  • Kartierung der Wohn- und Arbeitsorte der Widerständigen/Geflüchteten in Saarbrücken (Transitorische Orte, wie Hotel, Pension, Café, Redaktionsräume)
  • Warum musste man nahe beieinander leben und arbeiten?
  • Wie sahen die Strategien des Überlebens aus? Wo musste man wohnen? Wie lebte man ohne Arbeit und Geld?
  • Wie war die Wohnsituation der Geflüchteten?
  • Wie gelangten die Geflüchteten an die Informationen und wie gaben sie sie weiter?
  • Mit welchen Mitteln wurde kommuniziert bzw. sich informiert (Strategien der Kommunikation, wie Zeitungen, Vortrag, Flugblatt, Kundgebung)
  • Wie gestaltet sich ein Leben ohne Geld und Pass?

Hinweise und Möglichkeiten

  • Erproben von Formen gemeinsamen Handelns, um eine existenziell bedrohliche Situation zu ändern, in einer Art „Escaperoom“-Spiel, wobei das Saargebiet als Fluchtort für politische Verfolgte aus dem Deutschen Reich nach dem 30. Januar 1933 als Freiheitsort und nach dem 13. Januar 1935 als Gefängnis.
  • Erkunden der Schmuggler- und Grenzgängerpfad in Namborn, Freisen, Nohfelden, Nonnweiler
  • Kartierung der Treffpunkte für Status quo-Befürwortenden entlang der Reichsgrenze im Osten (Naturfreundehaus Kirkel)
  • Exil nach dem 13.ten bzw. 15. Januar 1935 in Frankreich, Büro der Flüchtlingshilfe in Forbach. Situation der Geflüchteten aus dem Saargebiet in den Lagern.
  • Beschäftigung mit der Situation der Geflüchteten und deren rechtlichem Status , dem Thema Asyl in der Gegenwart.
  • Formen des Erinnerns an den Widerstand in Saarbrücken und in anderen Städten am Beispiel von Willi Graf und Marie Juchacz.

Literatur

 

  • Karl Retzlaw: Spartakus. Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters . Frankfurt 1972
  • Gustav Regler: Das Ohr des Malchus. Eine Lebensgeschichte. Köln 1958
  • Georg K. Glaser: Geheimnis und Gewalt. Ein Bericht. Köln 1959 (1969)
  • Shiela Grant-Duff: Fünf Jahre bis zum Krieg. Eine Engländerin im Widerstand gegen Hitler. München 1978
  • Paul Siegmann: Vor vierzig Jahren. Der Kampf um den 13. Januar 1935. In: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 12 (1974), S. 224-325
  • Lore Wolf: Ein Leben ist viel zu wenig. Frankfurt 1981