Band der Erinnerung

„Der Namen ist ein Stück des Seins und der Seele“. Diesem Zitat des Schriftstellers Thomas Mann folgt das Konzept der am 4. September 2022 eingeweihten Skulptur „Band der Erinnerung“. Sie bildet eine durchsichtige „schwankende“ Wand mit einer Gesamtgrundfläche von acht mal drei Metern Länge. Sie wurde von der Künstlergruppe Mannstein & Vill (Berlin) besteht aus einem mehrfach geschwungenen, leicht geneigten und begehbaren Edelstahlband. Die Buchstaben und Ziffern der Namen und Geburtsdaten sowie der Todesdaten und Todesorte der Opfer wurden mittels Lasertechnik in das 15 Meter lange Metallband eingeschrieben.

Foto:Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes

Foto: Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes

Foto: Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes

Foto: Landeszentrale für politische Bildung

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Kontext

Das Jahr 1933 brachte für das Saargebiet einschneidende Veränderungen, ungeachtet, dass erst die für das Jahr 1935 angesetzte Abstimmung über die Zugehörigkeit des Landes entscheiden sollte. Die antijüdische Gesetzgebung in NS-Deutschland ließ die Zahl der jüdischen Emigrantinnen und Emigranten an der Saar ansteigen. Der wachsende Einfluss der NSDAP an der Saar, der sich an den steigenden Mitgliederzahlen (1930: 261 Mitglieder; 1932: 2.550 Mitglieder) und zwei Sitzen im Landesrat bei der Landtagswahl 1932 zeigte. Obwohl alle NS-Verbände von der für das Saargebiet verantwortlichen Regierungskommission Ende 1932 verboten wurden, wuchs der Zuspruch im Saargebiet, insbesondere nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. Antisemitische Angriffe auf die künstlerische Leitung des Saarbrücker Theaters in dem NS-Blatt „Deutsche Saarstimme“ waren bereits 1931 erfolgt. Dazu kam, dass die Aufhebung des Vertrags von Versailles oberstes Ziel der Nationalsozialisten war.

Damit geriet die jüdische Bevölkerung des Saarlandes in Gefahr, den im Falle einer Aufhebung des Versailler Vertrages würden die in NS-Deutschland geltenden antijüdischen Gesetze auf sie angewandt. Im Vorfeld des im Sommer 1934 beginnenden, erbittert geführten Auseinandersetzung der Befürworter der Rückgliederung an Deutschland und den Befürwortern des bisherigen Zustands, sprich des Status quo an der Saar, formierte sich in der jüdischen Gemeinde Saarbrücken unter Leitung ihres Rabbiner Dr. Friedrich Rülf ein Aktionskomittee. Dessen Ziel war es, die im Saargebiet lebenden und die dorthin geflohenen Jüdinnen und Juden zu schützen.

Die Arbeit des Komitees erfolgte verdeckt und im Geheimen. Auf Auslandsreisen nahmen die Mitglieder Kontakt mit dem 1919 in Paris gegründeten Comité des Délégations Juives auf, aus dem 1936 der Jüdische Weltkongress mit Sitz in New York hervorging. Mit dessen Hilfe gelang es den Völkerbund, als die für das Saargebiet zuständige Verwaltungsbehörde, zu überzeugen, die am 21. September 1922 beschlossenen Regeln für den Schutz der Minderheiten auf die Jüdinnen und Juden an der Saar anzuwenden. 

Es wurden mehrere Denkschriften vorgelegt. Diese enthielten Vorschlägen zum Schutz der jüdischen Bevölkerung, die von dem Staat zu befolgen sind, dem nach der Abstimmung vom 13. Januar 1935 das Saargebiet zugeordnet wird. Die zudem erfolgte Fürsprache von jüdischen Organisationen aus ganz Europa, USA und Kanada führten dazu, dass der Völkerbund bereits am 20. Januar 1934 eine Dreierkommission unter dem Vorsitz von Baron Pompeo Aloisi, Diplomat im Dienst des italienischen Außenministeriums einberief.  Dieses Komitee verhandelte auf der Grundlage der gemachten Vorschläge mit der deutschen und der französischen Regierung.

In Folge der Verhandlungen, die am 3. Dezember erfolgreich mit Zustimmung NS-Deutschland abgeschlossen wurde, kam das nach seinem Tagungsort benannte „Römische Abkommen“ zustande. Es stellt eine Sonderregelung für die Jüdinnen und Juden des Saargebietes dar, die am 3.Dezember 1934 dort ihren Wohnsitz hatten.  Es besagt, dass für die Dauer eines Jahres nach der Rückgliederung, konkret: bis zum 29. Februar 1936 konnten ausreisewillige Jüdinnen und Juden das Saarland unter Mitnahme ihres Besitzes das Saarland verlassen, ohne dass die in NS-Deutschland geltenden antijüdische Gesetzgebung in Kraft trat. Diese Absicht mussten sie bis zum 31. August 1935 beim „Reichskommissar für die Rückgliederung des Saarlandes“ anmelden.

Der Saarbrücker Rabbiner Dr. Friedrich Schlomo Rülf (1896-1976) war maßgeblich am Abschluss des Römischen Abkommens zwischen dem Völkerbund und dem Deutschen Reich beteiligt. Das Abkommen ermöglichte den im Saarland lebenden Juden bis zum 29. Februar 1936 die sichere Ausreise ohne Verlust ihres Besitzes sowie die Nichtanwendung der in Deutschland geltenden sogenannten „Arier“-Gesetzgebung. Seinem Einsatz verdankt sich die Rettung vieler Jüdinnen und Juden aus dem damaligen Saargebiet vor Terror und Verfolgung durch die Nationalsozialisten, die ab 1. April 1935 die Regierungsgeschäfte an der Saar übernahmen.

Nach der Volkszählung vom 1. Januar 1933 lebten im damaligen Saargebiet 4.638 Jüdinnen und Juden. Bei der nächsten Volkszählung, zwei Monate nach der Rückgliederung des Saarlandes, am 25. Juni 1935 waren es noch 3.117 Menschen.

Das „Römische Abkommen“ zeigte bereits seine Wirkung und die Auswanderung jüdischer Saarländerinnen und Saarländer setzte sich über den 29. Februar 1936 fort. Die Folge war, dass die Jüdischen Gemeinden ihre Organisation entscheidend ändern mussten. 1935 gab es an der Saar 72 jüdische Gemeinden an der Saar, organisiert in 18 Synagogengemeinden. Es wurden daher, wie im April 1937 der Fall, die Gemeinden Illingen, Neunkirchen und Merzig zusammengelegt. Die Pogromnacht vom 9. November 1938, bei der überall im Saarland jüdische Einwohnerinnen und Einwohner misshandelt, ihre Wohnhäuser und Geschäfte zerstört und die Synagaogen in Brand gesetzt wurden, ließ die Zahlen weiter ansteigen. Die Volkszählung vom 17. Mai 1939 ergab, dass noch 494 Menschen jüdischen Glaubens im Saarland lebten. Sie waren drangsaliert und terrorisiert und um ihre Existenzen gebracht worden. Jüdische Saarländerinnen und Saarländer lebten vom Groß- und Einzelhandel mit kleinen Läden, aber auch mit großen Kaufhäusern in der Saarbrücker Bahnhofstraße. Sie hatten für ein blühendes Geschäftsleben in Saarbrücken gesorgt oder mit Metall-, Vieh- und Getreidehandel ihr Auskommen gefunden. Die es sich leisten konnten, hatten das Land verlassen.

Diejenigen, die geblieben waren, wurden, sofern sie in der „Roten Zone“, einem 15 Kilometer breiten Korridor entlang der Grenze zu Frankreich lebten bei Kriegsbeginn am 1. September nach Oberfranken, Thüringen und in das heutige Sachsen-Anhalt evakuiert. Als nach einem knappen Jahr die Rückwanderung begann, galt das nicht für die jüdischen Saarländerinnen und Saarländer. Sie wurden in Halle/Saale interniert und von dort in Forsteinsatzlager in Brandenburg eingewiesen oder in Halle interniert. Sie wurden von dort in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt. Für die jüdischen Saarländerinnen und Saarländer, die zurückkehren durften, begann eine weitere Qual. So wurden zum Beispiel Susanna Felsenthal aus Merzig, Rosa und Sara Hanau aus Brotdorf, Walter Blum, Amalie und Gisela Lilienfeld aus Saarbrücken nach ihrer Rückkehr verhaftet und am 22. Oktober 1940 nach Gurs verschleppt. Diese insgesamt 134 Menschen waren die letzten saarländischen Jüdinenn und Juden, die man ihres Heims beraubte und 2000 Kilometer von den Dörfern und Städten entfernt in ein Barackenlager am Rand der Pyrenäen brachte.

Es bewahrheite sich, was Rabbiner Dr. Lothar Rothschild, der Amtsnachfolger von Friedrich Rülf in Saarbrücken nach der Abstimmung vom 13. Januar 1935 für die saarländischen Jüdinnen und Juden vorausgesehen hatte. Er schrieb in einem Beitrag in der „Wiener Sonn- und Montagszeitung“ vom 21. Januar 1935: Bald müsse man denjenigen an der Saar helfen, „die heute (…) als Angestellte und Arbeiter von ihrem Gehalt, von der Hand in den Mund leben und die eines Tages, aller Erwerbsmöglichkeitein beraubt, rat- und hilflos auf der Straße stehen werden.“

Die für das Band der Erinnerung ermittelten Opferdaten kamen durch die 2019 bis 2020 durchgeführten intensiven Recherchen des Stadtarchivs der Landeshauptstadt Saarbrücken, des Landesdenkmalamtes sowie des Saarländischen Landesarchivs zustande. Als Datengrundlage diente die Opferliste der Synagogengemeinde Saar sowie Vorarbeiten des Vereins „Denkmal-Mit!“, dessen damaliger Vorsitzender Richard Borg von 1998 bis 2007 auch Vorstand der Synagogengemeinde Saar gewesen war. Danach entstand bis Anfang 2021 eine Liste mit 1.928 Datensätzen von ermordeten Opfern.

Die Wiedergabe dieser Daten im Denkmal erfolgt in alphabetischer Reihenfolge. Dabei wurden nicht nur die Daten der in den Konzentrationslagern Ermordeten und der mit unbekanntem Ziel „in den Osten“ Deportierten und seitdem Verschollenen betrachtet. Sondern auch diejenigen, die in der Emigration als Soldat oder als Mitglieder der Résistance gefallen sind und die durch die Entbehrungen und Qualen der Flucht und des versteckten Lebens in der Illegalität umkamen. Außerdem wurden diejenigen in das Gedenken aufgenommen, die sich angesichts ihrer Verfolgung für den Freitod entschieden haben.

Da die Todesdaten der Opfer in vielen Fällen mangels fehlender Dokumentation nicht mehr festgestellt werden konnten, wurde für sie das Datum der Deportation als Todesdatum gesetzt. Viele der Opfer sind nicht im Saarland geboren, weshalb eine Auswahl getroffen werden musste, wer als „Saarländer“ gelten soll. Es wurde entschieden, alle jüdischen Bürgerinnen und Bürger als Saarländer zu zählen, für welche sich ein Aufenthalt von wenigstens einem Jahr im damaligen Saargebiet belegen lässt. Auch in der Emigration geborene Kinder wurden mit einbezogen. Da die Recherche nach weiteren Opfern nicht abschließbar ist, stellt das Mahnmal keinen endgültigen Zustand der Opferliste dar, sondern gibt ein vorläufiges Ergebnis wieder.

Schwerpunkt

Jüdisches Leben in Saarbrücken, Verfolgung, Deportation

Praktische Hinweise

Der Erinnerungsort liegt im Freien. Es ist auf der Witterung angepasste Kleidung zu achten.

Dauer

Ein bis zwei Stunden

Zielgruppe

Schulklassen ab Klassenstufe 9, Jugend- und Erwachsenengruppen

Kosten

Das Angebot ist kostenlos

Öffnungszeiten

Der Erinnerungsort ist täglich und ganzjährig frei zugänglich


Kontakt

Stadtarchiv Saarbrücken
Deutschherrnstraße 1
66117 Saarbrücken
Email: stadtarchiv(at)saarbruecken.de
Fon: 0681-905-1258

Kulturamt der Landeshauptstadt Saarbrücken
Katharina Ries
St. Johanner Markt 24
66111 Saarbrücken
Email: katharina.ries(at)saarbruecken.de
Fon: 06 81-905-4914


Erreichbarkeit

Der Erinnerungsort liegt in der Innenstadt Saarbrückens vor der Synagoge am "Platz der Erinnerung"/Lortzingstraße 8, 66111 Saarbrücken


Anfahrt

Vom Hauptbahnhof fünf Minuten bis zum Beethovenplatz/Lortzingstraße 8. Die Bushaltestelle Beethovenplatz liegt direkt am „Platz der Erinnerung“. Er wird von den Buslinien 102,103, 104, 109, 121, 138 angefahren. Die nächstgelegene Saarbahn-Haltestelle ist an der Johanneskirche.


Didaktisches Angebot

  • Das Band der Erinnerung zum namentlichen Gedenken an die jüdischen Opfer der NS-Gewaltherrschaft, die im früheren Saargebiet gelebt haben, will auch Impulse setzen, sich über die Geschichte der Jüdinnen und Juden im Saarland zu informieren und sich insbesondere mit der Geschichte der Shoah auseinanderzusetzen.

  • Dazu wird es ab Herbst 2022 auf der Homepage der Landeshauptstadt Saarbrücken, Stadtarchiv, ein digitales jüdisches Gedenkbuch des StadtarchivsSaarbrücken geben. Das jüdische Gedenkbuch bietet viele Informationen zur Rolle jüdischen Lebens an der Saar. Nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche sind abgebildet, von der Wirtschaft über Handel und Gewerbe bis hin zu Politik, Kunst und Kultur vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die NS-Zeit. Es wird auch ein Überblick über 700 Jahre jüdisches Leben an der Saar geboten.

    Das Gedenkbuch fördert die regionale Spurensuche. Verfolgte Jüdinnen und Juden, die im früheren Saargebiet lebten oder hier zwischen 1933 und 1935 kurzfristig Schutz fanden, sind erfasst – unter anderem mit der Möglichkeit nach Namen und Wohnorten zu recherchieren. Dazu gibt es eine nach Landkreisen differenzierte Literaturauswahl. Insbesondere Schulen haben dadurch im Unterricht ein Angebot, direkt zu recherchieren.

  • Die Datenbank verweist zudem auf weitere Quellen im Landesarchiv des Saarlandes. Link:https://gedenkbuch.saarbruecken.de/ und www.saarbrücken.de/erinnern

Hinweise und Möglichkeiten

  • Besuch mit einer Führung durch die Synagoge bietet sich an. Anmeldung: Synagogengemeinde Saar. Fon: 0681-910 380. Email: info(at)sgsaar.de
  • Die Datenbank und Internetseite https://gurs.saarland erfasst alle im Lager Gurs internierten Jüdinnen und Juden aus dem Saarland. Dazu liegen unter dem Titel „Papiere“ Lernmaterialien zum kostenlosen Download bereit.
  • Die App "Orte der Erinnerung"(OdE): NS-Erinnerungsorte in Saarbrücken führt zu Stationen de jüdischen Lebens in Saarbrücken (Bahnhofstraße, ehemalige Synagoge). Die App steht zum kostenlosen Download im App-Store und im Google-Play-Store