Dokumentationszentrum Sinti und Roma Heidelberg

Am 16. März 1997 wurde das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma  eröffnet. Die Dauerausstellung dokumentierte erstmals den nationalsozialistischen Völkermord an der Minderheit Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegenüber den Sinti und Roma war zu diesem Zeitpunkt sowohl in der Geschichtsschreibung als auch in der Gedenkstättenarbeit noch weitgehend ausgeklammert. Das neu gegründete Heidelberger Zentrum machte es sich zur Aufgabe, hier ein Umdenken zu bewirken. Ausstellungen sind seither ein wichtiges Mittel der Öffentlichkeitsarbeit des Zentrums – national wie international.

Foto: Lars Kehrel/Dokumentationszentrum Sinti und Roma

Foto: Dokumentationszentrum Sinti und Roma

Foto: Dokumentationszentrum Sinti und Roma

Kontext

Sogenannte »Zigeuner« leben seit dem Mittelalter in Europa und Deutschland. In Deutschland wurden sie 1407 erstmals urkundlich erwähnt. Viele Sinti und Roma besaßen die deutsche Staatsbürgerschaft. Bereits lange vor 1933 wurden Sinti und Roma an den gesellschaftlichen Rand gedrängt und diskriminiert. Schon im Kaiserreich und der Weimarer Republik wurden zahlreiche Gesetze, Erlasse und Verordnungen zur – wie es bereits hieß – »Bekämpfung der Zigeunerplage« eingesetzt.

Daran konnten die Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme reibungslos anknüpfen, indem sie zunächst die bestehenden Gesetze restriktiv anwandten. Die sogenannten Wandergewerbescheine, die für die Ausübung eines ambulanten Gewerbes notwendig waren, »Zigeuner« verweigert, Sinti- und Roma-Kinder wurden aus öffentlichen Schulen ausgeschlossen. Später wurden Sinti und Roma von der Wehrpflicht ausgeschlossen und aus der Wehrmacht entlassen, obwohl »Zigeuner« im Ersten Weltkrieg gedient hatten und eine Reihe von ihnen bereits im Zweiten Weltkrieg eingezogen waren.

Die nationalsozialistische Zigeunerpolitik ging jedoch über die Fortführung und Verschärfung der bisherigen Gesetze weit hinaus. Das spezifisch Neue stellte die rassische Begründung für die Verfolgung dar. Zigeuner galten als eine »artfremde und minderwertige Rasse« wodurch viele ihre Existenzgrundlage verloren. Aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums « vom 7.April 1933 wurden sie wegen ihrer »nicht arischen Abstammung« aus dem Staatsdienst entlassen. Viele Zigeuner wurden zwangssterilisiert oder als »Asoziale« verfolgt. Die »Nürnberger Gesetze« von 1935 galten auch für Zigeuner. Eheschließungen zwischen »deutschblütigen Personen mit Zigeunern, Negern oder ihren Bastarden« waren verboten.

Die Verfolgung von Sinti und Roma wurde durch die Einrichtung von »Zigeunerlagern« erheblich verschärft. Die Kriminalpolizei war zuständig für die Überwachung und Verfolgung der Sinti und Roma. 1938 war im Reichskriminalpolizeiamt in Berlin die »Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens« geschaffen worden. Die Kriminalpolizei arbeitete eng zusammen mit der 1936 beim Reichsgesundheitsamt gegründeten »Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle«, die von dem Nervenarzt Dr. Dr. Robert Ritter geleitet wurde. Sie hatte die Aufgabe, alle im Deutschen Reich lebenden Zigeuner zu erfassen und nach rassistischen Kriterien einzustufen sowie »Gutachtliche Äußerungen« für die Kriminalpolizei zu erstellen.

Ritter und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfassten seit März 1938 auch alle auf dem »Schwarz-Weiß- Platz« lebenden Männer, Frauen und Kinder. Mit größtem Aufwand wurden diese Menschen vermessen. Allein im Kopfbereich wurden bis zu 44 Messungen vorgenommen, Hand- und Fingerabdrücke erstellt, umfangreiche Erbtafeln angelegt. Gelegentlich wurden auch Haarproben entnommen, Blutuntersuchungen durchgeführt und Gipsabdrücke angefertigt. Kopf, Hände, Nasenhöhlen wurden fotografiert, teilweise in den damals noch seltenen Farbdias. All dies wurde in verschiedenen Karteien erfasst. Die so ermittelten Materialien bildeten die Grundlage für »Gutachterliche Äußerungen«, die über Leben und Tod entscheiden konnten. Die Arbeiten der »Forschungsstelle « bildeten somit ein Instrument der »Auslese«, die im Genozid endete.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde im Berliner Reichssicherheitshauptamt die Deportation aller Juden und auch aller Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das besetzte Polen geplant. Damit verschärfte sich die Verfolgung und Unterdrückung der Sinti und Roma nochmals. Eine erste Verschleppung ganzer Familien wurde im Mai 1940 von den Kripostellen und der »Rassenhygienischen Forschungsstelle « umgesetzt: Rund 2500 Sinti und Roma wurden in Hamburg, bei Stuttgart und in Köln konzentriert und anschließend deportiert. In Köln begannen die Festnahmen am 16. Mai 1940.

Im sogenannten »Generalgouvernement« wurden die Deportierten in provisorische Unterkünfte eingewiesen und zu schwerster Zwangsarbeit heranzogen, etwa zum Bau von Grenzbefestigungen, Straßen, Flugplätzen und Lagern. Mitte 1942 wurden die meisten in Ghettos eingewiesen.

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 trat die nationalsozialistische Rassenpolitik in eine grundlegend neue Phase ein: Nun begannen die systematischen Morde, zunächst in den besetzten Gebieten an Ort und Stelle, dann in eigens dafür errichteten Vernichtungslagern. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes sowie Einheiten der Wehrmacht und der Ordnungspolizei ermordeten unmittelbar hinter der deutschen Front neben Juden auch Zehntausende Sinti und Roma. Im Dezember 1942 befahl Himmler, alle noch verbliebenen Sinti und Roma zu deportieren.

Seit Ende Februar 1943 wurden insgesamt rund 22.600 Sinti und Roma in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Im Vernichtungslager Auschwitz- Birkenau (Auschwitz II) wurde ein »Zigeunerfamilienlager « errichtet, das aus 32 Holzbaracken bestand. Viele Tausende starben innerhalb kurzer Zeit in dem hoffnungslos überfüllten Lagerbereich an Hunger oder Seuchen wie Fleckfieber und Typhus oder wurden Opfer von Gewalttaten der SS-Bewacher. Vor allem die Kindersterblichkeit war extrem hoch. Zwillingspaare wurden von Josef Mengele zu medizinischen Experimenten missbraucht. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden alle 2.897 Roma, die bis dahin überlebt hatten, in den Gaskammern ermordet. Mehr als 19.300 der etwa 22.600 in Auschwitz internierten Zigeuner starben. Die Gesamtzahl der ermordeten Sinti und Roma aus elf europäischen Ländern ist bis heute nicht bekannt. Sie wird auf 220.000 bis 500.000 Menschen geschätzt.

Schwerpunkt

Sinti und Roma, Verfolgung der Minderheit im Nationalsozialismus

Praktische Hinweise

Das Dokumentationszentrum liegt in der Heidelberger Altstadt.

Dauer

Zwei bis fünf Stunden

Zielgruppe

Schulklassen ab Klassenstufe 9, Jugend- und Erwachsenengruppen

Kosten

Das Angebot ist kostenlos.

Öffnungszeiten

Dienstag: 9.30-19.45 Uhr
Mittwoch, Donnerstag, Freitag: 9.30-16.30 Uhr
Samstag, Sonntag: 11.00-16.30 Uhr


Kontakt

Workshops/Führungen
Andreas Pflock
Andreas.pflock(at)sintiundroma.de
Telefon: 06221-981 -102
Internet: www.sintiundroma.de

 

 


Erreichbarkeit

Der Fußweg vom Bahnhof Station "Altstadt"zum Dokumentationszentrum Sinti und Roma beträgt zehn Minuten.


Anfahrt

Mit dem Regionalexpress 1 und der S-Bahn 3 über Mannheim Hauptbahnhof zur Station Heidelberg-Altstadt, mit den S-Bahnen 1 und 3 von Homburg/Saar nach Schifferstadt, von dort Umstieg bis Heidelberg-Altstadt.


Didaktisches Angebot

  • Dauerausstellung
    Die Darstellung der Verfolgungsgeschichte in unserer ständigen Ausstellung geht von Menschen aus, die erst zu Opfern gemacht wurden. Ihre Biografien stehen im Zentrum der Ausstellung. Den Dokumenten der Nationalsozialisten, in denen Sinti und Roma systematisch entmenschlicht und entpersönlicht werden, stehen deshalb die Zeugnisse der Opfer und die Berichte der Überlebenden gegenüber.
    Einen zentralen Stellenwert nehmen dabei historische Familienbilder ein. Sie zeigen, in welch vielfältiger Weise Sinti und Roma in das gesellschaftliche und lokale Leben integriert waren. Sie machen immer wieder bewusst, dass sich hinter den abstrakten Dokumenten der bürokratisch organisierten Vernichtung unzählige zerstörte Lebenswege und menschliche Schicksale verbergen.
    Diese beiden Ebenen – Normalität und Alltag der Minderheit einerseits, Terror und Verfolgungsapparat anderseits – werden in der Ausstellung räumlich und gestalterisch deutlich voneinander abgehoben und gleichzeitig zueinander in Beziehung gesetzt.
    Die Ausstellung wird durch Videos mit Dokumentarfilmen und Aussagen von Überlebenden ergänzt, die von den Besuchern innerhalb der Ausstellung individuell abgerufen werden können. Für größere Gruppen steht ein eigener Vorführraum zur Verfügung, in dem neben den Ausstellungsvideos auch weitere Dokumentarfilme zu verschiedenen Themen gezeigt werden.
    Angemeldete Gruppen werden durch erfahrene pädagogische Mitarbeiter:innen begleitet. Sie führen durch die Ausstellung, beantworten Fragen, regen Diskussionen an und leiten Gruppenarbeiten. Unsere Bildungsangebote sind kostenfrei. Dies gilt auch für den Audio-Guide, der in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Japanisch und Spanisch zur Verfügung steht.

  • Workshops
    Für Schüler:innen und Jugendliche bieten wir Ausstellungsführungen im klassischen Sinn nicht mehr an. Ab der 9. Jahrgangsstufe bieten wir für alle Schulformen Workshops an, die einen Dialog und Austausch fördern und durch selbstbestimmtes Lernen zur Auseinandersetzung mit den Ausstellungsinhalten, zum Setzen persönlicher Akzente und zur kritischen Reflexion anregen. Dabei werden auch aktuelle Fragen nach den Gefahren des Rassismus und des Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft diskutiert. Ein besonders wichtiges Anliegen ist es uns, die historische Erinnerung an die NS-Völkermordverbrechen als Mahnung angesichts heutiger Verletzungen der Menschenrechte und rassistischer Gewalt zu begreifen.
    Die Begegnung mit unserer Ausstellung versteht sich nicht als Ersatz für den Schulunterricht. Vielmehr soll sie Wissen vertiefen und konkretisieren sowie einen vom Schulunterricht abweichenden Zugang zur Geschichte ermöglichen. Zur Vorbereitung der Workshops ist die Vermittlung von Grundkenntnissen über die Geschichte des Nationalsozialismus und die der Minderheit der Sinti und Roma erwünscht.
  • Geschichte zeigen“: Erkundung von Ausstellungsthemen in Kleingruppen mit anschließendem Rundgang
    Dauer: 1,5-2 Stunden
  • „Ein Koffer mit Geschichte(n)“: Auseinandersetzung mit Ausstellungsthemen und den Info-Boxen des Geschichtskoffers mit abschließendem Rundgang
    Dauer: 3 Stunden (inkl. Pause)
  • „Begegnungen“: Erarbeitung historischer Kontexte und Auseinandersetzung mit den Biografien von drei Auschwitz-Überlebenden
    Dauer: 3-4 Stunden (inkl. Pause)
  • Transportable Ausstellung zum Holocaust
    Deutschland- und europaweit stellt das Dokumentations- und Kulturzentrum ausleihbare Ausstellung „Rassediagnose: Zigeuner“ zum europäischen Völkermord und zur Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma mit dem begleitenden: https://www.sintiundroma.org/de/

  • Studien- und Projekttage zur Geschichte und Verfolgung der Sinti und Roma sowie zum Antiziganismus (auch als Teil von Aus- und Fortbildungen)

  • Beratung und Begleitung von Präsentationen, Facharbeiten, Gleichwertigen Feststellungen schulischer Leistungen (GFS) und Seminarkursen
  • Vermittlung von zeitgeschichtlichen Stadterkundungen in Heidelberg

  • Planung und Durchführung von Lehrerfortbildungen und Fachtagungen (auch in Schulen)

  • Betreuung von schulischen und universitären Forschungsarbeiten

  • Vermittlung von themenspezifischen Gesprächspartnern und Fachreferenten

  • Organisation und Begleitung von Gedenkstätten-Exkursionen (u.a. Natzweiler und Auschwitz)

  • Gespräche zur Geschichte und Kultur der Sinti und Roma

Hinweise und Möglichkeiten

  • Es bietet sich ein Besuch in der Sammlung Prinzhorn im Heidelsberger Universitätsklinikum an. Die Sammlung Prinzhorn ist ein Museum für Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahme-Erfahrungen. Ihr bekannter historischer Bestand umfasst ca. 6000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen, Textilien und Texte, die Insassen psychiatrischer Anstalten zwischen 1840 und 1945 geschaffen haben. Dieser weltweit einzigartige Fundus wurde zum größten Teil von dem Kunsthistoriker und Psychiater Hans Prinzhorn (1886-1933) während seiner Zeit als Assistenzarzt  an der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg zusammengetragen. Aktuelle Öffnungszeiten unter: https://prinzhorn.ukl-hd.de/sammlung-prinzhorn/